Dienstag, 10. Dezember 2013

Die große Überfahrt

ICH. HABE. EIN. BOOT!!!
Ein eigenes. Ein astreines eigenes Boot. Es heißt Schabernack und ist eine Bianca 28.

Ich vertraue Dänischem Design aus den 70er Jahren. Wenn mein Kleiderschrank von Dansk Design 14 Umzüge überstanden hat, dann sollte auch ein Boot aus Dänemark der 70er Jahre was aushalten.
Gekauft habe ich sie, jawohl, über ebay, der Verkäufer sicherte mir zu, dass sie in seetüchtigem Zustand sei.

Vielleicht bescheuert, aber ich vertraue Menschen, die auf See unterwegs sind.
Gestern bin ich aus Köln, meiner alten und neuen Heimat per Bahn nach Wyk/Föhr gefahren um das Boot "nach Hause" zu holen. Abgemacht ist ein Platz an den Randmeeren des Ijsselmeers. Und ich habe 12 Tage Zeit. Das sollte zu schaffen sein.
Schwerbeladen mit amtlichem Seesack, Extremausrüstung von Marinepool und einem Petroleumsofen bin ich im halbdunkel angekommen und habe erst einmal tief Luft holen müssen. Das Boot macht einen tauglichen Zustand, die Segel und der Außenborder in sehr gutem Zustand. Innen aber ist es dreckig. Äonen von Seglern haben eine schmierige Mischung aus Staub, Fett und kalter Luft hinterlassen. Buäähh!

Trotzdem mir das Herz bis zum Hals schlägt, fahre ich morgens um 7 von Wyk los. Der Verkäufer hatte mit breitem Grinsen ans Herz gelegt, wenn ich den Wasserschutzpolizisten einen Gefallen tun wolle, solle ich das Licht einschalte. Tatsächlich stehen die Herren an Deck, ein kurzes Winken, ich folge den Tonnen ("Raus, Rechts, Rot") Richtung Nordsee.
Vielleicht mag man es für waghalsig oder mutwillig halten, wenn ich, bar jeder Hochseeerfahrung so einfach auf die Nordsee fahre. Im Dezember. Aber ich bin ohne Wüstenerfahrung mit dem Motorrad quer durch die Sahara, ohne Orienterfahrung monatelang durch die Türkei und Kurdistan zu Zeiten der Militärdiktatur. Als Gleitschirmflieger über 100 km Strecke geflogen, ohne vorher zu wissen, wo ich lande und wie ich zurückkomme.

Probleme tauchen immer auf. Immer, das gehört zur Reise. Man muss das akzeptieren und den Problemen nur begegnen können.

Um 10.00 passiere ich Amrum und setze die Segel. Das nervige Geräusch des Außenborders verstummt. Aber ohweh! Meine erste Etappe heißt Helgoland und liegt Kurs 240 Grad. Der Wind kommt aus - genau: 240 Grad. In entspannten 3-4 Bft. Das heißt: Ich werde nicht, wie geplant 28 sm, sondern erheblich mehr fahren. Und nicht um 17 Uhr, sondern erheblich später einlaufen.
Also halte ich mich zuerst Kurs 180 Grad. Und stelle fest, dass meine beiden Kompasse "schielen". Ein Kompass zeigt 200 Grad, der andere 160 Grad. Ich habe keine Lust, mich großartig mit diesem Phänomen zu befassen, ich orientiere mich zuerst einmal an meinem Plotter, einem alten Smartphone, das ich mit der Navionics-Software ausgerüstet habe. Und das zeigt mir bei harten Am-Wind-Kurs 180 Grad.
Ich probieren mein Boot aus, wie dicht ich an den Wind heranfahren kann, bis die Segel weich werden und versuche zunächst einmal ein Gefühl für die Segel zu bekommen. Vorsichtshalber fahre ich im ersten Reff. Mein Segellehrer hatte in einem Nebensatz den für mich wohl wichtigsten Satz der Seemannschaft geprägt:

"Rechtzeitig reffen"- Besser mit zu wenig Segelfläche unterwegs sein und Speed verschenken, als mit zu viel Fläche und es wird einhand unbeherrschbar.

Als ich zum Wendepunkt komme, wird es bereits wieder dunkel - Hey, es ist Dezember: Sonnenuntergang gegen 16 Uhr.
Der Autopilot verrichtet seinen Dienst - ssstssstsst, die Wellen etwa 1 Meter hoch - Strömung - weiß ich nicht.
So stehe ich denn am Bug des Bootes, halte mich am Vorstag fest, bin ohne Landsicht und sehe der Sonne beim Untergehen in glühenden Farben zu.

Und dann passiert es:

Das ganze beschissenen Jahr 2013 bricht sich mit einem Male Bahn. Meine Fast-Insolvenz, weil meine Mitbewohnerin von heut auf morgen entschied, nicht mehr mitbezahlen zu wollen, der Tod meines gehasst-geliebten Vaters und die ohnmächtige Trauer meiner Mutter, mein fast verlorener Job, und die unendliche Erschöpfung, als ich mich dann endlich aus all dem gerettet hatte... ein Haus und meine neue Wohnung renoviert, mein Haus verkauft, meinen Job gerettet, meinen Vater beerdigt und meine haltlos weinende Tochter am seinem Grab festgehalten... all das fallt ab, bricht aus mir heraus, als ich da am Vorstag stehe und die Wellen das Boot schaukeln. Und ich so ganz allein auf dem Meer in den Sonnenuntergang fahre. Ich singe schändliche Lieder, von dreizehn Mann auf des toten Manns Kiste (und eine Buddel voll Rum, hoho!), von La Paloma und Madagaskar. Ich singe, ich lache, weine, alles gleichzeitig, der Rotz läuft in Strömen, ich tanze und schreie so laut ich kann, erschrecke Möven und neugierige Robben, und mein Inneres kotzt sich raus, im Schwung nach Lee.

Dann dann, allmählich, kommt die Ruhe. Langsam, ganz langsam befriedet sich sich mein Inneres. Ich beginne die dieselbe Kraft zu spüren, die ich schon mit 15 Jahren gefühlt habe, als ich zum ersten Mal die Segel gehisst hab, setze mich aufs Bug, die Beine durch den Bugkorb geschlungen. Eine Art meditativem Frieden erfüllt mich, ein Gefühl, das ich nur auf einem Boot spüren kann: Erfüllt von einer tiefen inneren Ruhe und Schweigen und trotzdem hellwach.

Und in der verschwindenen Sonne frage ich mich, wann ich wohl den Leuchtturm von Helgoland sehen werde.
Das passiert gegen 19.00, es ist bereits stockduster, da sehe ich ihn am Horizont. Zuerst als ungenau zuckendes Licht, dann immer genauer.
Gegen 21.00 Uhr erkenne ich rote und grüne Lichter. Ich bin müde und möchte endlich in den Hafen einlaufen.
Abkürzen? Warum soll ich dem Fahrwasser nach Helgoland folgen? Das ist doch bestimmt nur für Dickschiffe. Im letzen Moment erkenne ich allerdings vor mir eine riesige Mauer. Die Hafenmauer von Helgoland. Ich wende halsbrecherisch, vielleicht 100m vor der Wand, die mich sicher versenkt hätte, berge die Segel und fahre mit Motor um 21.30 Uhr in den Hafen. Und nun motore ich durch das Hafenbecken ohne eine genaue Vorstellung, wo und wie ich anlegen soll. Denn mein Hafenführer liegt sicher und trocken unter Deck. Bis sich ein Berufsschiffer meiner erbarmt und von seinem Schiff aus seine Lampe genau auf den Yachtsteiger richtet. Hier lege ich ein perfektes Anlegemanöver hin.
In all meinen Klamotten, mit Rettungsweste und Gummistiefel laufe ich zum nächstbesten Hafenrestaurant, ich muss etwas essen. Hätte ich allerdings gedacht, dass man mich als supercoolen Meeresüberquerer mit gefälligem Gemurmel empfängt, so habe ich mich allerdings getäuscht, niemand nimmt mich beim Eintreten großartig zur Kenntnis. Also esse ich, was mir die Küche zu dieser Uhrzeit noch anbieten kann. (Kartoffelsuppe und ein riesiges Bier)
Und schlafe später wie ein Stein. 





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