Dienstag, 17. Dezember 2013

Everything comes to an End


Dokkum zeigt sich regnerisch, meine Laune ist, trotz Dusche am Abend vorher schlecht.
Gegen Mittag erreiche ich Leeuwarden und muss erst einmal warten. Als ich am Wartesteiger der ersten städtischen Brücke anlege, tuts hinter mir einen Schepperer. Ich habe nicht auf die überhängenden Bäume geachtet, und damit hat es mir meine Funkantenne runtergebrochen. Die ist gleich hinter mir eingeschlagen, ich hab mir gottseidank nicht getan.
Glücklicherweise hat es aufgehört zu regnen, so genieße ich die Fahrt durch eine Stadt, die sich anfühlt, wie eine Fahrt durch einen Park. Der Kanal folgt dabei der alten, eckigen Stadtmauer, alte Bäume und Rasenflächen säumen den Kanal. Im Sommer muss das hier traumhaft sein. 
Im Süden wird mir der obligatorische Klompen für das Brückengeld entgegen gehalten und ich bin wieder auf die Fernsteuerung der Brücken angewiesen. An der ersten Brücke ist eine Telefonnummer angeschrieben, wo ich Brückenbedienung anfordern kann. Der Mitarbeiter spricht zum Glück perfekt deutsch und stellt sich mir als persönlicher Betreuer vor: Wohin ich denn fahren möchte, er behält mich dann weiter im Blick - Sehr schön!
lustige Brücke bei Leeuwarden
Nur die Eisenbahnbrücken südlich von Leeuwarden gehören nicht zu seinem Gebiet und so verbringe ich hier eine unangenehme Stunde am Wartesteiger. Die Dickschiffe fahren nur wenige Meter an mir vorbei, so dass an kochen oder essen kaum zu denken ist. Die Brücke wird aber erst geöffnet, als ein Großer vorbeikommt, der nicht unter der Eisenbahnbrücke durchpasst.
Ich jubele den Motor auf Hochtouren, um mit dem Dicken mitzuhalten, passiere dann auch problemlos die nächsten zwei Brücken. Danach bin ich wieder unter der Obhut meines persönlichen Betreuers, der mit die Brücken immer schon bei der Anfahrt öffnet.
Unschön wird eine Begegnung in Wergea, ein Schild wirbt für die Durchfahrt durch den Ort mit "kostenloser Brücke". Ein Blick in die Karte bestätigt: Kürzer, schneller.
Die Fahrt wird zur Quälerei: Nach 100 Metern merke ich schon, dass das mit dem Tiefgang im Winter wohl nicht hinhaut. Der Motor muss sich immer weiter anstrengen um Geschwindigkeit zu halten, mitten im Ort geht dann gar nichts mehr. Ich hänge mal wieder im Schlick fest. Und die "kostenlose Brücke" ist noch nicht einmal in Sichtweite.
Meine Versuche, frei zu kommen, werden von einigen Mitarbeitern einer Werft andächtig verfolgt, keiner macht Anstalten, in das kräftig wirkende Motorboot zu steigen. Ich winke, ich zeige an, dass ich feststecke (jetzt müsste es doch wohl auch der letzte Trottel verstanden haben): nichts.
In aller Seelenruhe beenden die Jungs ihre Pause treten die Kippen aus und gehen wieder an die Arbeit.
Ich gönne meinem Motor eine Minute Pause und versuche es noch einmal.
Wenn die mir in ihrem blöden Fallstrickkanal nicht helfen wollen, verqualme ich ihnen eben die Bude mit meinen Abgasen!
Ich schaffe es, das Boot auf der Stelle zu drehen, danach geht es buchstäblich Zentimeter für Zentimeter mit der Strategie des "Freiwühlens"wieder raus. Nach eine gefühlten Ewigkeit nimmt das Boot langsam wieder Fahrt auf, und verfolgt von den stupiden Blicken der Werftarbeiter, die die nächste Pause einlegen, fahre ich zurück zum Kanal: "Kostenlose Brücke" und Abkürzung am A...
Die Brücke auf dem Kanal ist auch kostenlos, und bald schlängelt sich der Weg wieder durch romantisch-schöne friesische Landschaft.
Der Zeitverlust entpuppt sich als ein Glücksfall: bei meiner Einfahrt nach Grouw dämmert es schon wieder und die winterlich eingeschränkten Bedienungszeiten der Brücken verhindern meine Weiterfahrt. Ich lege an einem freien, nicht weiter bezeichneten Steiger an und laufe erstmal durch dieses bezaubernde Städtchen. Dann stehe ich vor einer Jugendherberge (die heißen in Holland stayokay) und der Wunsch nach einem Bett und einen gut geheizten Zimmer wird übermächtig...
Endlich habe ich auch wieder Internet und kann die Wettervorhersage der nächsten Tage abrufen. Und die versprechen nix Gutes: Regen und viel Wind auf dem Ijsselmeer. Will ich mir das jetzt noch geben? Oder soll ich das Boot nicht einfach den Winter über in Grouw lassen und mir für den Frühling einen neuen Liegeplatz suchen?
Die Rezeption wird von einem netten jungen Kerl versorgt, der empfiehlt mich an einen Werft- und Ausrüstungsbetrieb "De Schiffart", vielleicht kann ich das Boot ja vorübergehend da unterstellen. Gesagt, getan. Am nächsten Morgen mache ich das Ganze fix, der Preis ist wohl eher symbolisch. Also übergebe ich mein Boot ins Winterlager und fahre mit der Eisenbahn nach Hause.
Ich überlege mir ernsthaft, meinen ständigen Liegeplatz in Grow zu nehmen und schreibe mir die Kontaktdaten des Hafenmeisters auf. Leider hat sich nie jemand auf meine E-Mail hin gemeldet...
Tschüss Schabernack, bis zum nächstenFrühling! 



Nach Dokkum


Sobald die Brückenwärter Ihr Wochenende beendet haben und die Brücke wieder einsatzbereit ist, fahre ich wieder los.
Die Fahrt geht durchs Reitdiep, einer wunderschönen romantischen Auenlandschaft. Mittags erreiche ich das Leuwersmeer und spiele mit dem Gedanken, wieder raus auf die Nordsee zu fahren, entscheide mich dann aber doch für den Kanal.
Die Betonnung ist wintertypisch ausgedünnt, bei der Ausfahrt kann ich das Fahrwasser nur erraten, die grünen Tonnen (sollen die jetzt die rechte oder linke Begrenzung darstellen?) sind unvollständig und weit auseinander.
Da passierts: Ich bleibe so erbarmungslos hängen, dass ich wohl keine Chance habe, alleine wieder flott zu kommen.
Der andauendernde Südwestwind, der den Wasserstand absenkt, keine Bagger im Winter, ein nicht ganz vorschriftsmäßig angebrachtes Fischernetz. Es reicht nicht, ich sitze im Schlick fest.
Ich versuche, ins vermutete Fahrwasser zurückzufahren, versuche Segel zu setzen um Schräglage hinzukriegen, nichts hilft. Eine halbe Stunde später kommen zwei Jungs mit einem Kahn und einem RIESIGEN Motor hinten dran.
Die wollen hier angeln. Sie nehmen mein Boot in Schlepp, ein paar Mal am Gas gedreht und schon ist das Boot frei.
Es wird dunkel, als ich in Dokkum ankomme, allerdings kann ich wieder einmal umsonst anlegen und habe dabei auch noch Strom am Liegeplatz. Die Duschkabinen und Toilette, die im Sommer wohl für die Passanten da sind, sind allerdings geschlossen.
Ich suche das städtische Schwimmbad, weil ich unbedingt duschen will, vielleicht auch schwimmen.
Das Schwimmbad finde ich schließlich, aber ich habe aber keine Badehose bei, und ohne Badehose kann ich nicht rein.Die Frau an der Kasse findet eine pragmatische Lösung und gibt mir ein Badetextil, die wohl jemand verloren hatte. Bis der Besitzer, der sicher nicht älter als 12 Jahre ist, das Teil wiederkriegt, hat sie ein gutes Werk getan und mir zum Eintritt ins Schwimmbad verholfen.
Und so stehe ich mit einer Mickey-Mouse-Badehose eine Stunde lang unter einem heißen Wasserstrahl...

Montag, 16. Dezember 2013

De Meuw

Das Örtchen, in dem ich festhänge, heißt De Meuw. Ich nutze den Tag in dem idyllischen Dörfchen um eine laufende Windmühle zu besichtigen und, endlich, klar Schiff zu machen.
Der Dreck im Inneren geht mir so auf die Nerven, so dass mein Spitituskocher Höchstleistung erbringen muss, um die Mengen Heißwasser zu kochen, die ich brauche, um den schlimmsten Schmier zu entfernen.

 




Das Recreatie Center ist allerdings eine Enttäuschung: Baustelle. Schade.

Samstag, 14. Dezember 2013

Staande Mast Route

Es regnet. Der Delfzijler Hafen ist, so leer wie trostlos, dass ich nach dem Tanken gleich aufbreche. Ich habe einige Mühe, die Seeschleuse zu finden, die den Eingang zur Staande-Mast-Route darstellt, nach einigem Herumfragen erfahre ich, dass ich den Kanal, den ich gestern eingefahren bin, einen Kilometer zurückfahren muss, dann kommt die Schleuse.
Die Staande Mast Route ermöglicht es, durch den nördlichen Teil  Hollands zu fahren, ohne den Mast umlegen zu müssen. Alle Brücken sind entweder hoch genug, oder werden bei Bedarf geöffnet. Eine schöne Ausweichmöglichkeit, wenn es auf der Nordsee zu windig ist.

Meine erste Schleuse, ich bin ganz aufgeregt und versuche auch gleich, an einem der Riesenpfosten, an denen die Frachtschiffe festmachen, anzulegen. Das geht natürlich nicht, das Boot treibt auch einmal rund um den Pfosten und ich hab mich heute zum ersten mal zum Clown gemacht.
Das zweite Mal folgt nur unwesentlich später, ich versuche in den Schleuse anzulegen und stehe, da ablandiger Wind herrscht, im 90 Grad Winkel zum Ufer.
Der Schleusenwärter hat ein Einsehen und lässt mich schnell durch, ich hätte wohl noch ein Weilchen gebraucht.

Zwei Dinge gelernt:

1. Sportboot haben eigene Wartesteiger
2. Anlegen bei ablandigem Wind in der Schleuse ist doof.

Ich muss mir irgendwas einfallen lassen, sonst wird das Anlegemanöver immer wieder peinlich.

Hinter der Schleuse geht es schnurgerade durch die holländische Regen-Winterlandschaft. Ich mache mir Gedanken, wie das mit Groningen funktionieren soll: Da kann man, wenn ich den Berichten Glauben schenken soll, nur im Konvoi durch .Da ich seit Tagen keinem einzigen Sportboot begegnet bin, ist ein Konvoi so unwahrscheinlich wie ein Skigeschäft in der Sahara.
Der erste Teil der Route ist recht langweilig, es geht schnurgeradeaus, allerdings kann ich an einigen Wartesteigern meine Anlegetechnik etwas verbessern. Lustigerweise öffnen sich die meisten Brücken bei meiner Ankunft automatisch, ich mahle mir aus, dass der Schleusenwärter der Seeschleuse seinen Kollegen Bescheid gesagt hat: "Da kommt so ein Chaot in einer ollen hellblauen Yacht, macht besser die Brücke auf, sonst macht der noch was kaputt"
In Groningen, es hat mittlerweile aufgehört zu regnen, stehe ich vor einer Brücke, die nicht sofort öffnet, aber es klingt ein herzliches "Hallo" von oben und dann erscheint ein Brückenwärter. Noch bevor ich richtig festgemacht habe, wird die Brücke hochgekurbelt und ich kann passieren. Bei der nächsten Brücke das selbe, aber das ist ja der selbe Brückenwärter! Der fährt, immer wenn er die Brücke wieder runtergekurbelt hat, mit dem Fahrrad nebenher und macht die nächste Brücke auf.
Die Fahrt geht durch die Altstadt von Delfzijl und manchmal ist die Durchfahrt so eng, dass es sich gerade noch ausgeht. Die dicken Plattbodenschiffe liegen nämlich in 2er und 3er Päckchen.
Von einem Boot winkt mir eine Frau zu, die wohl auf dem Schiff lebt: "Woher kommst Du?"
"Nordsee"
"Du bist ein mutiger Mann"
Und der mutige Mann errötet bis in die Haarspitzen...
Ich plane noch an einen Ort namens Garnwerd zu fahren, einige Kilometer hinter Groningen. Her soll es lauf Karte ein Recreatie Center geben. Ich sehe mich schon im Wellenbad und einer Sauna...

Als ich in die Nähe des Ortes komme,erfahre ich, wie heilig dem Holländer sein Weekend ist: Um 16 Uhr 55 passiere ich eine Brücke und als ich auf eine zweite, nur wenige hundert Meter entfernt zufahre, erscheint "rot-über-rot". Dä! Übers Wochenende geschlossen. Ich sitze zwischen zwei Brücken fest.

Freitag, 13. Dezember 2013

Noch elf Tage bis Weihnachten

Morgens früh um sieben gehts weiter, ich laufe mit dem Ebbstrom aus Norderney aus. Ich sehe immer noch nicht viel mehr als bei der Herfahrt, allerdings bin ich vom Nebel verschont.
Schöner, smoother Rückenwind bringt mich auf 7 Kn, eine ungewohnte Geschwindigkeit.
Am Dovetief, das ich nun mit satter Tiefe überfahre, setze ich Segel und weiter gehts nach Westen. Mittags bin ich schon in der Nähe der Emseinfahrt und fahre geradezu auf einen, im Bau befindlichen Windpark zu. Da kommt mit Vollspeed ein Wachschiff auf mich zu und drängt mich böse aus der Area, stimmt, da war mal was mit Umfahrungstonne.

Gleich kommt der Wachhund

Der Skipper beschimpft mich wüst über eine Flüstertüte, zwingt mich zu einem waghalsigen Wendemanöver, bei dem ich, welch schöner Nebeneffekt, die Geschichte mit der back gehaltenen Fock erlerne. OK, dann umfahre ich das Ganze eben südlich, der Wachhund fährt die ganze Zeit schimpfend neben mir her, im Abstand von höchstens 10 Meter. Das schaukelt ganz schön.
Schließlich hat er genug und dreht ab, höchste Zeit, ich gerate auch langsam in ein Gebiet, bei dem ich mir nicht immer sicher bin, dass genug Tiefgang vorhanden ist. Als er abdreht, wende ich auch Richtug Westen, kann es mir aber nicht verkneifen, die südliche Begrenzungstonne der restrikted Area nördlich zu umfahren.
Nachmittags kann ich endlich in die Ems einfahren, die Flut beginnt gerade und ich segele mit 6-7 Kn im Am-Wind-Kurs in den mordsbreiten Fluss ein. Eine ganze Reihe verschiedener Fahrwasser machen die Orientierung nicht ganz einfach, zudem die, eine neue Erfahrung, wie wild blinken. Disko in der Ems. Ich versuche anfangs noch, nur zur Übung, die Leuchtfeuer anhand der Kennung zu identifizieren, lasse das allerdings bleiben, als die Dickschiffdichte enorm zunimmt. Die Ems biegt langsam immer weiter westlich ab, so dass aus dem Am-Wind, ein hart Am-Wind wird und dann geht gar nichts mehr. Ich nehme die Segel runter starte den Motor und möchte munter meine Bordbeleuchtung einschalten, aber außer einem müden Funzeln kommt da nichts. Die Verbraucherbatterie hat offensichtlich seine besten Zeiten hinter sich, der Autopilot hat da dann wohl zu viel Strom gezogen.
Das Kabel, dass ich von meiner Starter- zur Verbraucherbatterie gezogen hab, hat sich auch noch gelöst. Jetzt unten im Schiff herumzukriechen um das wiederzufinden hab ich allerdings angesichts des Verkehrs keine Lust. Also täusche ich falsche Tatsachen vor und fahre ohne die stromfressende weiße Motorleuchte nur mit Bug- und Hecklampe. Muss ich halt aufpassen.
Interessant wird es, als ich mich zwischen einer roten und einer grünen Tonne einsortieren will, die allerdings gar nicht in der Karte verzeichnet sind.
Kann auch nicht, die bewegen sich nämlich und sind die Beleuchtung eines riesigen Frachters, der sich ziemlich zügig auf mich zubewegt. "Nix wie weg" denke ich mir und halte mich von nun an dicht an den grünen Tonnen. 
Drei Stunden später erreiche ich die Einfahrt zum Kanal nach Delfzijl.
Knapp 10 Km durch eine apokalyptisch anmutende hell erleuchtete Industrielandschaft später erreiche ich den Hafen von Delzijl, der, natürlich, vollkommen verlassen und leer ist. Meine Suche nach einem Hafenmeisterbüro ist dann auch eher pro Forma.
Mein Anlegemanöver ist "ok", weil alle Boxen leer sind, kann ich mich für keine entscheiden.
Der Blick auf die Uhr erstaunt mich: Obwohl ich eine gefühlte Ewigkeit durch die Dunkelheit gefahren bin, und immerhin 50 sm auf der Uhr hab, ist erst 18.30 Uhr. Die Läden müssten also noch auf sein. Ab in die Stadt, einkaufen.


Donnerstag, 12. Dezember 2013

Trockene Handschuhe, warme Decke

Morgens gehe ich zum Hafenmeister. Der heißt Henning und empfängt mich mit einem fröhlichen "oha!", bietet mir einen Kaffe an und eine heiße Dusche in der Hafenmeisterei. Eigentlich ist er für mich gar nicht zuständig, er verwaltet den Berufsschifferhafen, aber ich muss wohl einen desperaten Eindruck hinterlassen. Außerdem kann ich meine Handschuhe, die nun alle mittlerweile triefnass sind, auf der Heizung trocknen. Ich entschließe mich, einen Tag Hafenpause zu machen. Ein bisschen was von Norderney sehen will ich auch und einen wärmeren Schlafsack besorgen.
Das wird zum Problem, die Sportgeschäfte auf der Insel haben keine Schlafsäcke mehr im Programm, schließlich erfahre ich,dass die Arbeiterwohlfahrt im Ort einen Hallenflohmarkt verstanstaltet. Da kriege ich eine dicke Kuscheldecke für 5 Euro und die Nächte können endlich warm werden.
Außerdem stellt sich heraus, dass genau der Platz, auf dem ich im Yachthafen liege, doch zum städtischen Hafen und damit in Hennings Bereich fällt.Das bedeutet, ich kann Strom haben und meine Bordbatterie, die eh schon schwächelt, aufladen.
Abends gehe ich noch mit Henning auf ein Bier, wir quatschen bis spät in die Nacht. Und ich erfahre die Geheimnisse des Krabbenpuhlens.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Norderney

Am nächsten Morgen begegne ich im Hafen dem Brötchenverteiler. Der ist im T-Shirt. Ich bin in meiner High-Tech-Kleidung. Nun ist mir klar, warum mein Auftritt in der Kneipe keine Beifallsstürme ausgelöst hat. Ich Weichei!
Der Besuch beim Hafenmeister ist kurz: Das Hafenverwaltungsprogramm startet nicht, ist ja auch kein Schwein da. Das heißt, ich brauche nix zu zahlen, auch schön. Der Wetterbericht ist unverändert: Wind aus SW (da wo ich hinwill), Es wird also ein langer Schlag.

Bei der Ausfahrt aus dem Hafen  zeigt sich, dass das Wasser erheblich unruhiger ist, als gestern. Und es ist nebelig. Es schaukelt ganz schön unter Motor, ich denke darüber nach, eine Weile lang Strecke gegen den Wind zu machen, um nicht ganz so spät in Norderney anzukommen. Aber das heißt auch, Wellen genau von vorne anzuschneiden. Dabei werde ich zuerste einmal seekrank. 

Nicht gut!

Ich schlucke eine Tablette (Reisekankheit ratiopharm) und setze Segel. Das Boot wird sofort ruhiger, und nun kann ich mit Hilfe meiner schielenden Kompasse einen Kurs 180 Grad realisieren. Irgendwann in ein paar Stunden kommen also Inseln.
Am späten Vormittag erreiche ich das Ende des Verkehrstrennungsgebietes German Bight.
Und das heißt, es fahren einige ziemlich große Dickschiffe über eine Autobahn. Eine nebelige Autobahn. Und ich sehe gerade mal 200 Meter weit, wenn ich ein Loch in den Nebel starre.
Den ersten Frachter sehe ich vor mir in respektabler Entfernung, eigentlich auf Kollisionskurs. Ich entscheide mich, zwei Wenden zu fahren, und halte auf das Heck des Schiffes zu. Damit sind die Fronten klar.
Die zweite Wende wird aber nicht richtig, ich bleibe mit dem Bug im Wind stecken, ich habe die Fock nicht genügend back gelassen. Nun stehe ich, im Verkehrstrennungsgebiet im Nebel und kann mich nicht rühren.

Nicht gut!

Als ich endlich wieder Fahrt aufnehme, sehe ich den nächsten Pott auf mich zukommen, der hat ziemlich Fahrt. Bloß weg hier! Ich schmeiße den Motor an und flüchte unter Motor und Segel.

Als ich gegen Mittag Wangerooge sehe, wende ich nach Westen. Es ist immer noch nebelig, allerdings scheint immer wieder die Sonne, durch und ich traue mich bei dem vorherrschenden Wind sogar, das Reff aus dem Groß zu nehmen.
Spiekeroog, Langeoog,  Baltrum sausen an mir vorbei, trotzdem stelle ich fest: Die Einfahrt ins Gatt bei Norderney muss ich gegen den Strom schaffen. Wahrscheinlich komme ich erst gegen Abend und dann bei recht niedrigem Wasser an. Und ich habe keine Ahnung, welchen Wert der Tiefenmesser angiebt: Unter dem Kiel oder Wassertiefe.

Nicht gut!

Als die Sonne untergeht, muss ich unter Deck, mich aufwärmen, lasse den Autopiloten laufe und übersehe fast einen Krabbenkutter, der auf Kollisionskurs ziemlich nahe auf Jagt ist. Ich merke, dass ich mit dem Strom gezogen werde, die Geschwindigkeit über Grund ist 2 Kn höher als durchs Wasser. Cool.
Gegen 20 Uhr 30 erreiche ich die Tonne am Dovetief. Und halte die Luft an: von 30 m Wassertiefe gehts schlagartig auf 15m, 10m, 5m, 3,50m, 3m, 2m, 1,80m, 1,70m, 1,70m, 1,70m, 1,80m, 2m, ich atme wieder aus.
Im Fahrwasser kann ich nichts, aber auch gar nichts erkennen. Es ist nebelig und stockfinster. Also fahre ich mit dem Plotter in den Hand, orientiere mich am Geräusch der Brandung an der Robbenplate. Und manchmal scheint der Mond durch.
Um 22 Uhr 30 sehe ich den Hafen. Die nächste Herausforderung: Nirgendwo ist ein Anlegeplatz für Sportboote: Im Yachthafen sind die Schwimmstege aus dem Wasser herausgenommen worden, an der Spundwand mag ich nicht festmachen. Da sehe ich, hinter einer anderen Yacht, noch einen kleinen Platz, der allerdings meine ganze verbliebene Konzentration braucht. Festmachen, wenn die Poller in gefühlten 5 Meter Höhe sind. Ich muss meine Leinen ganz lang machen, damit sie nach oben reichen, dann gehe ich schlafen.

Sehr, sehr leer, der Yachthafen von Norderney.


Dienstag, 10. Dezember 2013

Die große Überfahrt

ICH. HABE. EIN. BOOT!!!
Ein eigenes. Ein astreines eigenes Boot. Es heißt Schabernack und ist eine Bianca 28.

Ich vertraue Dänischem Design aus den 70er Jahren. Wenn mein Kleiderschrank von Dansk Design 14 Umzüge überstanden hat, dann sollte auch ein Boot aus Dänemark der 70er Jahre was aushalten.
Gekauft habe ich sie, jawohl, über ebay, der Verkäufer sicherte mir zu, dass sie in seetüchtigem Zustand sei.

Vielleicht bescheuert, aber ich vertraue Menschen, die auf See unterwegs sind.
Gestern bin ich aus Köln, meiner alten und neuen Heimat per Bahn nach Wyk/Föhr gefahren um das Boot "nach Hause" zu holen. Abgemacht ist ein Platz an den Randmeeren des Ijsselmeers. Und ich habe 12 Tage Zeit. Das sollte zu schaffen sein.
Schwerbeladen mit amtlichem Seesack, Extremausrüstung von Marinepool und einem Petroleumsofen bin ich im halbdunkel angekommen und habe erst einmal tief Luft holen müssen. Das Boot macht einen tauglichen Zustand, die Segel und der Außenborder in sehr gutem Zustand. Innen aber ist es dreckig. Äonen von Seglern haben eine schmierige Mischung aus Staub, Fett und kalter Luft hinterlassen. Buäähh!

Trotzdem mir das Herz bis zum Hals schlägt, fahre ich morgens um 7 von Wyk los. Der Verkäufer hatte mit breitem Grinsen ans Herz gelegt, wenn ich den Wasserschutzpolizisten einen Gefallen tun wolle, solle ich das Licht einschalte. Tatsächlich stehen die Herren an Deck, ein kurzes Winken, ich folge den Tonnen ("Raus, Rechts, Rot") Richtung Nordsee.
Vielleicht mag man es für waghalsig oder mutwillig halten, wenn ich, bar jeder Hochseeerfahrung so einfach auf die Nordsee fahre. Im Dezember. Aber ich bin ohne Wüstenerfahrung mit dem Motorrad quer durch die Sahara, ohne Orienterfahrung monatelang durch die Türkei und Kurdistan zu Zeiten der Militärdiktatur. Als Gleitschirmflieger über 100 km Strecke geflogen, ohne vorher zu wissen, wo ich lande und wie ich zurückkomme.

Probleme tauchen immer auf. Immer, das gehört zur Reise. Man muss das akzeptieren und den Problemen nur begegnen können.

Um 10.00 passiere ich Amrum und setze die Segel. Das nervige Geräusch des Außenborders verstummt. Aber ohweh! Meine erste Etappe heißt Helgoland und liegt Kurs 240 Grad. Der Wind kommt aus - genau: 240 Grad. In entspannten 3-4 Bft. Das heißt: Ich werde nicht, wie geplant 28 sm, sondern erheblich mehr fahren. Und nicht um 17 Uhr, sondern erheblich später einlaufen.
Also halte ich mich zuerst Kurs 180 Grad. Und stelle fest, dass meine beiden Kompasse "schielen". Ein Kompass zeigt 200 Grad, der andere 160 Grad. Ich habe keine Lust, mich großartig mit diesem Phänomen zu befassen, ich orientiere mich zuerst einmal an meinem Plotter, einem alten Smartphone, das ich mit der Navionics-Software ausgerüstet habe. Und das zeigt mir bei harten Am-Wind-Kurs 180 Grad.
Ich probieren mein Boot aus, wie dicht ich an den Wind heranfahren kann, bis die Segel weich werden und versuche zunächst einmal ein Gefühl für die Segel zu bekommen. Vorsichtshalber fahre ich im ersten Reff. Mein Segellehrer hatte in einem Nebensatz den für mich wohl wichtigsten Satz der Seemannschaft geprägt:

"Rechtzeitig reffen"- Besser mit zu wenig Segelfläche unterwegs sein und Speed verschenken, als mit zu viel Fläche und es wird einhand unbeherrschbar.

Als ich zum Wendepunkt komme, wird es bereits wieder dunkel - Hey, es ist Dezember: Sonnenuntergang gegen 16 Uhr.
Der Autopilot verrichtet seinen Dienst - ssstssstsst, die Wellen etwa 1 Meter hoch - Strömung - weiß ich nicht.
So stehe ich denn am Bug des Bootes, halte mich am Vorstag fest, bin ohne Landsicht und sehe der Sonne beim Untergehen in glühenden Farben zu.

Und dann passiert es:

Das ganze beschissenen Jahr 2013 bricht sich mit einem Male Bahn. Meine Fast-Insolvenz, weil meine Mitbewohnerin von heut auf morgen entschied, nicht mehr mitbezahlen zu wollen, der Tod meines gehasst-geliebten Vaters und die ohnmächtige Trauer meiner Mutter, mein fast verlorener Job, und die unendliche Erschöpfung, als ich mich dann endlich aus all dem gerettet hatte... ein Haus und meine neue Wohnung renoviert, mein Haus verkauft, meinen Job gerettet, meinen Vater beerdigt und meine haltlos weinende Tochter am seinem Grab festgehalten... all das fallt ab, bricht aus mir heraus, als ich da am Vorstag stehe und die Wellen das Boot schaukeln. Und ich so ganz allein auf dem Meer in den Sonnenuntergang fahre. Ich singe schändliche Lieder, von dreizehn Mann auf des toten Manns Kiste (und eine Buddel voll Rum, hoho!), von La Paloma und Madagaskar. Ich singe, ich lache, weine, alles gleichzeitig, der Rotz läuft in Strömen, ich tanze und schreie so laut ich kann, erschrecke Möven und neugierige Robben, und mein Inneres kotzt sich raus, im Schwung nach Lee.

Dann dann, allmählich, kommt die Ruhe. Langsam, ganz langsam befriedet sich sich mein Inneres. Ich beginne die dieselbe Kraft zu spüren, die ich schon mit 15 Jahren gefühlt habe, als ich zum ersten Mal die Segel gehisst hab, setze mich aufs Bug, die Beine durch den Bugkorb geschlungen. Eine Art meditativem Frieden erfüllt mich, ein Gefühl, das ich nur auf einem Boot spüren kann: Erfüllt von einer tiefen inneren Ruhe und Schweigen und trotzdem hellwach.

Und in der verschwindenen Sonne frage ich mich, wann ich wohl den Leuchtturm von Helgoland sehen werde.
Das passiert gegen 19.00, es ist bereits stockduster, da sehe ich ihn am Horizont. Zuerst als ungenau zuckendes Licht, dann immer genauer.
Gegen 21.00 Uhr erkenne ich rote und grüne Lichter. Ich bin müde und möchte endlich in den Hafen einlaufen.
Abkürzen? Warum soll ich dem Fahrwasser nach Helgoland folgen? Das ist doch bestimmt nur für Dickschiffe. Im letzen Moment erkenne ich allerdings vor mir eine riesige Mauer. Die Hafenmauer von Helgoland. Ich wende halsbrecherisch, vielleicht 100m vor der Wand, die mich sicher versenkt hätte, berge die Segel und fahre mit Motor um 21.30 Uhr in den Hafen. Und nun motore ich durch das Hafenbecken ohne eine genaue Vorstellung, wo und wie ich anlegen soll. Denn mein Hafenführer liegt sicher und trocken unter Deck. Bis sich ein Berufsschiffer meiner erbarmt und von seinem Schiff aus seine Lampe genau auf den Yachtsteiger richtet. Hier lege ich ein perfektes Anlegemanöver hin.
In all meinen Klamotten, mit Rettungsweste und Gummistiefel laufe ich zum nächstbesten Hafenrestaurant, ich muss etwas essen. Hätte ich allerdings gedacht, dass man mich als supercoolen Meeresüberquerer mit gefälligem Gemurmel empfängt, so habe ich mich allerdings getäuscht, niemand nimmt mich beim Eintreten großartig zur Kenntnis. Also esse ich, was mir die Küche zu dieser Uhrzeit noch anbieten kann. (Kartoffelsuppe und ein riesiges Bier)
Und schlafe später wie ein Stein. 





Schleuse Altenrheine - Kurz vor Lingen 2.4.2024 (Ach, Du Scheiße!)

  Ich habe das Gefühl, ein bisschen was aufholen zu müssen und bin früh unterwegs. Ich kann mich hinter einem Tanker einordnen, der ziemlich...