Dienstag, 30. April 2019

Anfahrtsweg Teil 2 29.-30.4.2019


Mein  Plan ist es, so weit zu segeln, wie es irgend geht. Ich lass es morgens ruhig angehn, 9:00 Uhr losfahren reicht spielend, dann lasse ich mich mit dem Ebbstrom raus auf die Nordsee ziehen und der Flutstrom schiebt mich dann 6 Stunden lang.
Bei strahlendem Sonnenschein fahre ich los, die Sonne ist allerdings ein leeres Versprechen, dass nicht eingelöst wird.
Der Wind steht perfekt auf Nord, ich kann einen schönen Am-Wind-Kurs fahren, ohne Höhe kneifen zu müssen und bin flott unterwegs. 
Nur mal aus Blödsinn habe ich den Kurs zwischen dem Flach vor Terschelling und der Einfahrt in die Elbe gemessen: 75 Grad. Ein oder zwei Stellen, sind dazwischen, an denen man ausweichen muss, sonst kann man mit diesem Kurs tatsächlich in die Elbe einfahren. Früher oder später.
Ich ziehe es in Erwägung, vielleicht nachts zu fahren, wenn die Bedingungen so perfekt sind, wie zur Zeit. Also schalte ich alle Stromverbraucher aus und segele Kurs 75 Grad.
Terschelling, Ameland und Schiermonningkoog passiere ich, vom Flutstrom angetrieben. Dann wird natürlich langsamer, die Tide kentert. Abends um 20.00 bin ich vor der Einfahrt in die Ems, es wird wesentlich windiger. 5-6 Bft. sind mit den Segeln zu viel für den Autopiloten, also reffe ich das Groß. Versuche ich zumindest denn einer der Rutscher klemmt und es kostet mich einiges an zerren und mit dem Fall wieder hochziehen, bis der Rutscher sich befreit hat. Und in der Zwischenzeit schiebe ich jede Menge Panik, was tun, wenn das Ding nicht runterkommt. In Gedanken spiele ich das Szenario durch, in die Ems bis Borkum zu fahren, Strom gegen Wind und irgendwie in einen Hafen einlaufen. Aber dann löst sich das Segel, als wenn nichts passiert wäre. 
In der Zwischenzeit hat sich das Boot zweimal um die eigene Achse gedreht, was einen Fischer dazu bewegt, fluchtartig die Szenerie zu verlassen. Nachdem ich die Genau also auch zweimal befreit hab, was äußerst schweißtreibend ist, wenn man bei 5 Bft. auf dem Vordeck eines bockenden Schiffes steht, fahre ich erst mal weiter. 
Ich bin kurz davor, nach Borkum abzudrehen, weil so kann man doch nicht die ganze Nacht durchfahren! Ich starte mein Navionics und kriege gleich mal zu viel: Das Teil zeigt falsch an: Alles ist weiß (Meer über 2 m tief), er schafft es wohl gerade nicht, das Land und die Sandbänke einzuzeichnen! Wie soll ich denn da nach Borkum kommen? 
(Später stellt sich heraus, dass ich für den gewählten Kartenausschnitt einfach zu weit weg vom Land bin) 
Mit dem gerefften Groß geht es besser, allerdings schafft es der Autopilot immer noch nicht, das Boot aus Kurs zu halten. Entweder reicht sein Eingreifen nicht aus, um das Boot im Wind zu halten, oder  er überschießt und fährt einen Sonnenschuss und die Segel flattern nutzlos im Wind.
Also: bevor es ganz dunkel ist, runter mit der Genua rauf mit der Arbeitsfock. Und genau so geht es: „Well balanced" nennt es der Entwickler meines Pypilot, und nachdem die Segelfläche kleiner ist, wird es auch schon dunkel und

das zweite Drittel der Tour beginnt.
Zunächst kämpfe ich noch mit der korrekten Einstellung, aber langsam erschließt sich mit die Funktion. Und irgendwann habe ich ihn so weit, dass er auch bei kräftigem Am-Wind-segeln den Kurs recht stabil behält. So kann die Nacht kommen. 
Ich habe allerdings ein Problem: Wenn ich den Horizont nicht erkennen kann, werde ich seekrank. Also ist längere Zeit unter Deck für mich tabu. Draußen ist es im Wind allerdings saukalt und ich finde keine Position, in der ich mich gut ausruhen könnte. Mein Versuch, mich einfach auf die Luv-Bank zu legen, endet mit einem Schwall Seewasser im Gesicht und Kragen.
Ich muss einfach runter, aber zurückgelehnt auf der Leeseite sitzen verursacht Übelkeit, auf der Luvseite muss ich mich immer abstützen, das ist ungemütlich.
Und ich habe Angst, seekrank zu werden, Seekrankheit bedeutet totale Lethargie, das ist gefährlich.

Irgendwann ist ist dann auch egal. Ich lege mich mit allen nassen Klamotten auf die leeseitige Sitzbank und siehe da: Geht! Ohne Schlechtwerden! Was für ein Glück, dass ich mit der letzten Tour das Polster doch noch mitgenommen hab. Und die Decke, die ich auf meiner ersten Tour in Norderney gekauft hab. Jacke aus, zudecken und ausruhen.

Ich höre dem Boot beim Segeln zu: Überall knarzt und klappert es. Wasser schlägt an den Rumpf, oder zischt, wenn es gekonnt abgeleitet wird. Dazu klappern Falle und Wanten, der Autopilot summt und die Töpfe im Schrank scheppern aneinander. An meinem Kopfende klappen die beiden Blechtassen im Schapp, eine Dose rollt hin und her. Geräusche, die ja eigentlich immer da sind, nur bekomme ich das in der Plicht beim Segeln so nicht mit.
Aber das Boot macht nur das, was es kann: seine Arbeit. Segeln. 

Warm eingepackt in meine Decke sagt mir die Schabernack: "Ok, ruh dich aus, ich kümmere mich ums Segeln. Es sind ja Bedingungen wie in der Segelschule". Und der Autopilot summt dazu: "Wir machen das ja nicht zum ersten Mal"
"Doch, Du schon."
...
...
...
PLING-PLING-PLING
mein Wecker, auf 20 min eingestellt, weckt mich wieder auf. Ich schalte den Monitor des Plotters ein und gucke, ob das Boot noch auf Kurs ist und werfe einen Blick raus, ob jemand in der Nähe ist. 
Kein AIS-Signal, kein Licht. Alles OK. 
So verrinnt die Zeit. 
Ich erlaube es mir, mich in Gedanken zu verlieren, über das Leben, die Liebe, über meine Familie und meine Arbeit.

Taktgeber sind meine Eieruhr und die knarzenden Lageberichte aus der Funke, die alle Stunde Lagemeldungen abgibt. Einmal wird der Kurs korrigiert, ich komme zu nah an das Verkehrstrennungsgebiet, leiste es mir allerdings liegen zu bleiben und die Kursänderung erst nach dem nächsten Wecken vorzunehmen. 

Das letzte Drittel beginnt vor Wangerooge. Als es dämmert. Die Geräusche haben sich verändert, das Wasser fließt nicht mehr mit so viel Sog. Der Grund: Es ist deutlich weniger windig als gestern, ich werde noch vom Flutstrom bewegt, viel Eigenbewegung ist da nicht. 

Als in der Entfernung auch noch Schiffe, Riesenpötte, die in Reih und Glied zu fahren scheinen, auftauchen, starte ich den Motor. Dadurch fahre ich nicht so langsam unter Segeln.




Es ist fake: die Schiffe stehen, sonst hätte ich mich da nie so nah drangetraut

Die Schiffe entpuppen sich als die Reede. Ich finde schnell die Einfahrtstonne für die Elbe und dann geht es immer entlang am grünen Tonnenstrich. 
Gegen Mittag frischt der Wind wieder auf und ich kann dem Motor eine Pause gönnen. Es geht Wind-gegen-Strom, glücklicherweise mit dem Wind, was verhindert, dass ich klatschnass werde, unglücklicherweise gegen den Strom, der auch schon mal 4,5 kn erreicht, was bedeutet, dass ich mich trotz rasanter Fahrt nur mit 1-2 kn fortbewege. 


Wind-gegen-Strom an der Elbe

Ich lande im Yachthafen von Cuxhaven an, der ist vom Törnführer heiß empfohlen, entpuppt sich aber als die pure Tristesse. Die Toilette kostet 1 Euro, weil ich noch nichts im Restaurant gegessen hab. 
Duschen 2 Euro.
Wäre nicht da der Typ, der mir die Frage, wo ich denn eine Tankstelle finde, mit dem Angebot beantwortet, er können mich gleich hinfahren, ich hätte keine guten Erinnerungen an Cuxhaven.



Fast so trist wie der Hafen Ijmuiden, mit einer "Messe", die einen Euro fürs Klo nimmt.

Abends gucke ich noch auf die Logge: 152 Seemeilen. Alleine. Ich bin schon auch ein bisschen stolz.


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